Bis jetzt ohne richtige Titel
...
Undankbarkeit, es war immer Undankbarkeit der Lohn seiner Arbeit. Sein Bestreben
Freude zu bereiten wurde von keine seine Auserwählten je gewürdigt. Noch keine
von ihnen verstand, welche Bedeutung er ihnen gab.
Er ließ sich nicht von diesen Tatsachen ablenken, konzentriert markierte er
die drei Stellen, wo er die Stiche setzen würde. Erst rechts, dann links machte
er drei fast unsichtbare Punkte. Als die Nadel das Fleisch durchbohrte, wurden
die jeweils heraustretende Bluttropfen von einem erstickten Stöhnen begleitet.
Mit einem Tupfer trocknete er die sechs dunkelroten Punkte und die
hervortretenden Tränen.
Er betrachtete sein Werk. Immer wieder hatte er von anderen Künstlern gelesen,
welcher plump die Augenlider abschnitten. Ja, die Augenlider sollten zuerst
fort, damit das Rohmaterial, die Verwandlung zum Kunstwerk verfolgen, sich
daran erfreuen konnten. Er mochte abgeschnittene Augenlider jedoch nicht, es
beraubte seine Werke die Natürlichkeit. Er zog es vor, die Lider mit
unsichtbaren Stichen zu fixieren. Drei winzige Stiche auf jeder Seite genügten.
»Auch wenn du es nicht sagst, ich weiß, dass du mir dankst«, flüsterte der
Erschaffer ihr ins Ohr.
Mia Dirks atmete schwer. Ihre Augen wanderten unkontrolliert von einer
Seite zum anderen, während ihr Herz einem ansteigenden Tempo diktierte. Seine
Stimme war sanft, er roch nach Zedernholz und Lavendel. Die Wärme seines
Körpers schien sie zu umhüllen, was ihre Panik weiter schürte.
Kritisch betrachtete der Erschaffer sein Werk, seine Lippen formten ein
Lächeln. Er war zufrieden mit dem Ergebnis. Es war an der Zeit, das Rohmaterial
von Überflüssigem zu befreien. Langsam strich er über das blond gelockte Haar,
beobachtete wie das Gesicht seines entstehenden Kunstwerks sich veränderte. Die vornehme Blässe, die durch den Blutverlust entstanden war, gefiel ihm sehr.
»Du musst nicht mehr lange warten, du bist fast vollendet«. Mit einem
Pinsel strich er rote Farbe auf die Lippen.
Mia Dirks weinte, ihre Kehle entflohen Laute, welche die Sperrung ihre
Lippen nicht überwinden konnten. Als er ihr der Knebel abnahm, flehte sie ihm
an, kaum hörbare Stimme bat sie darum, er möge sie gehen zu lassen. Das
flüstern wurde nach und nach noch leiser bis es verstummte. Sie konnte ihm noch
spüren, hatte jedoch nicht mehr die Kraft etwas von sich zu geben.
Er strich über ihre Wange, das Gummi fühlte sich kalt an, es roch nach
Desinfektionsmittel.
»Du musst keine Angst haben, ich verhelfe dich zum Ruhm«.
Vorsichtig öffnete er ihren Mund, zog die Zunge heraus und Schnitt dieser mit
sicherer Hand durch eine einzige Bewegung. An deren Stelle schob er ein rotes,
seidiges Taschentuch. Um zu verhindern, dass diese rausfiel, nähte er ihr die
Lippen zusammen, er war ein wahrer Künstler, kein Stich war zu sehen. Wäre sein
Beruf Mediziner gewesen, hätten seine Patienten nie eine Narbe zurückbehalten.
Er betrachtete das stuck Fleisch in seiner Hand. »Das ist ein guter Lohn, du
bist sehr großzügig«. Der Erschaffer steckte seine Trophäe in eine Dose,
vergewisserte sich, dass die Seile an Mias Hände und Fußgelenke fest genug
waren und entfernte die Kleidung, welches ihren Leib bedeckte. Was er ihr
antat, spürte Mia nicht mehr, sie hatte ein Punkt erreicht, wo der Schmerz ihr
nichts mehr anhaben konnte. Ihr Geist schwebte unentschlossen zwischen
diesseits und das Jenseits. Sie hatte das Gefühl an der gewölbten Decke des
Gotteshauses zu schweben und auf sich hinunter zu schauen. Ihr Herz begann
langsamer zu werden. Hatte es vorher versuch die Lichtgeschwindigkeit zu
übertreffen, versuchte es sich jetzt in die hohe Kunst des Zeitanhaltens.
Sein Werk war fast beendet, dann würden sie sich ausruhen können. Aus einen
Satinbeutel holte er ein Schmetterling-Kokon. Langsam schob er diese in ihre
Scheide. Mit ein paar Stiche an den Schamlippen verhinderte er, dass dieser
später raus fiel. In ihr entstand ein Kampf, die Bewegungen zeichneten sich an
ihren Bauch. Das kleine Leben in ihr versuchte sich von der umgebenden Enge zu
befreien. Er legte die Hand auf dem gewölbten Leib, war das vielleicht ein Fuß?
Oder vielleicht eine Hand? Das spielte keine Rolle, er stand vor der Vollendung
seines Werkes. Fast andächtig setzte er das Skalpell unter der sich windende
Leben und schnitt. Mit großer Vorsicht, schon fast zärtlich, brachte er das
Kind in Position. Der Erschaffer öffnete eine Schachtel. Aus seinem Inneren
holte er ein dunkelblaues Gewand aus Satin, mit glitzernden Steinen von den
Schultern bis zu den Hüften. Es war wie einen Sternenhimmel. Der Schnitt wurde
von der Hüfte abwärts weiter, es fiel in weichen Bögen bis zum Boden.
Vorsichtig verdrahtete er die Körper, damit sein Werk nicht die Form verlor.
Zufrieden betrachtete der Erschaffer das Ergebnis seiner Arbeit. Hoch über
den Boden schwebend hing seine Madonna, der kleinen Kopf bereits aus dem
Mutterleib entronnen, befand sich der kindlichen Körper noch in der schützenden
Hülle. Während der Erschaffer unten in Kontemplation versunken, fast entrückt
stand, hörten oben fast zeitgleich zwei Herzen auf zu schlagen.
Seine Zufriedenheit wich von ihm, das Bild stimmte nicht. »Nein Liebes, so
kannst du nicht bleiben. Dein kleiner Engel ist unter dein Schlafhemd
versteckt. Er muss auch Ruhm erlangen«. Noch ein Mal legte der Erschaffer Hand
an seine Kreation. Ihre Arme beugend legte er ihr das Kind darauf, so als würde
sie es wiegen. So war es perfekt. Er zog sie zurück zu der ausgesuchten Stelle.
Jetzt war er endlich zufrieden.
Unter ihr hatte er Kiefernholz arrangiert. Es war an der Zeit es anzuzünden,
weder sie noch das Kleine sollten frieren. Außerdem erfreute er sich an den Kieferduft. Ein letzter Blick auf seine Kreation ließ ihm erkennen, dass er
wieder ein Meisterwerk kreiert hatte. Es war sein Bestreben nach Perfektion,
die ihm immer wieder den größten Lohn einbrachte. Die Gewissheit, dass andere
sich daran erfreuen würden. Ein winziges Detail hatte er sich einfallen lassen,
vielleicht würde er diese in Zukunft weiterverwenden. Unter dem Kopf des Kindes
hatte er ein Schmetterling eingeritzt. Ja, das erschien ihm passend, ein
sichtbarer Schmetterling, zu den in ihren Körper versteckten. Irgendwann hatte
er gelesen, dass Schmetterlinge, ins Besondere weiße, bei den Griechen „Psyche“
bedeutete, kurz gesagt, die Seele. Es war die perfekte Unterschrift für sein
Meisterstück. Er hätte gern mit seinem Namen unterschrieben, jedoch war das in
seine Augen zu profan. Er wollte sich nicht mit einen Miguel Angelo vergleichen,
auch nicht mit irgendeinem anderen weltlichen, bekannten Künstler. Er hatte diese
Stümper längst hinter sich gelassen. Seine Kunst war größer, erhebender. Es war
nicht nötig sein Name der Öffentlichkeit preiszugeben. Das eingeritzte „E“
neben dem Schmetterling genügte.
Sein Werk war vollendet, es war an der Zeit sich auszuruhen. Er hatte nicht
viel Zeit, bis er sich ein neues Kunstwerk widmen musste. Der Erschaffer nahm
die Dose mit der Zunge an sich, er würde diese zu den anderen legen und dann
würde seine wahre Belohnung zu ihm finden. Dabei
schaute er ein letztes Mal zu ihr hinauf. Wieder umspielte ein Lächeln seine
Lippen. »Abschied zu nehmen ist so schwer, ich sage nicht Lebewohl. Es war eine
Freude für dich zu arbeiten«. Er schaute die Fackel in seine Hand, zündete er
das Holz und verließ die Kirche.
30. Juni 2014 sieben Uhr dreißig
Es war noch früh an morgen, noch zu früh, um solche Bilder zu sehen, aber
gab es wirklich eine adäquate Stunde dafür? Wohl eher nicht. Der
Gerichtsmediziner hing mitten in Raum. Es war eine junge Frau ca. dreißig,
blond, und tot. Ihr fehlten beide Ohren, jemand hatte sie geschminkt. Jemand
der offensichtlich das erste Mal in Leben mit Schönheitsprodukte in Berührung kam.
Richard Lauritson, vom alle liebevoll Doc genannt, was
überhaupt nicht mit seinem Beruf zu tun hatte, versuchte sich vorzustellen, wie
diese junge Frau ein solches Schicksal ereilen konnte. Der Täter hatte ihr die
Bluse ausgezogen und wie es aussah mitgenommen. Mit einer Klinge hatte er auf
ihren Bauch einem kleinen „E“ eingeritzt. Eine Hand und einen Stuck Arm des
Kindes schauten aus dem lieblosen durchgeführten Schnitt heraus.
»Hallo Doc«, eine unverkennbare Stimme drang in Lauritsons Ohr; innerlich
dankte der Mediziner für diese Ablenkung, denn in seinem Kopf hatten sich
Gedanken eingefunden, die ihm ängstigten.
»Hallo Jill« Lauritson sprach mit der Kriminalhauptkommissarin, ohne sich um zudrehen. „Seid ihr fertigt mit euren Bildern und sammelt Action? Ich hätte
gern mir das Mädchen aus der Nähe angesehen“.
»Nur mit der Ruhe Doc, sie läuft dir nicht weg. Wir sind fast fertigt, dann
kann sie abgehängt werden. Was glaubst du, warum fehlen die Ohren?«
»Das vermag ich nicht zu sagen, das ist eure Aufgabe. Aber ich würde auf
Trophäe tippen«. Er machte eine kurze Pause, »Ich weiß nur, dass die Juni-Opfer
nie ihre Ohren vermisst haben«.
»Was ist eigentlich mit Ihren Augen?«
»Tja, darüber habe ich nachgedacht, als du hereinkamst. Aus dieser Entfernung
und bei der Kriegsbemalung möchte ich mich nicht festlegen«. Doc Lauritson
versuchte mehr zu erkennen. »Die Augenlider sind immer fest genäht, aber hier
würde ich fast sagen, sie sind abgeschnitten«.
Die Hauptkommissarin wollte sich das Bild nicht vorstellen, war die Frau
noch am Leben, als sie verstümmelt wurde? Nach so viele Jahre bei der
Mordkommission hatte Jill sich nicht vorstellen können, dass irgendetwas sie
aus dem Gleichgewicht hätte bringen können. Jetzt wurde sie eines Besseren belehrt.
Eins irritierte sie, es war ihre erste Juni-Opfer und sie hoffte inständig auch
die letzte, aber aus den Bildern der vergangenen Jahre wusste sie, dass diese
speziellen Opfer immer als Kunstwerk präsentiert wurden. Der Juni-Mörder hatte
ein ausgeprägter Sinn fürs Detail. Von dieser unglücklichen Frau konnte nur
gesagt werden, dass jemand mit eine gehörige Portion Sadismus am Werk war, aber
warum sollte der Juni-Mörder seine Vorgehensweise ändern? Was etwas passiert,
dass seine Vorgehensweise veränderte? Oder hatten sie es mit einem ganz anderen
Verbrechen zu tun? War diese Frau eine Polizistin? Nein, jemand hätte sie schon
erkannt. Zu wem konnte sie gehören? Nur Fragen keine Antworten, wo sollte sie danach
suchen? Jill stand da, die Augen fixierten die in der Höhe hängende Frau.
„Warum ist sie nackt?“ Die Frage wurde von alle leise gestellt, das war
noch nie da gewesen, die Juni Opfer waren nie nackt gewesen.
Einige in der Nähe stehenden Beamten hatte Doc Lauritson gehört,
abgeschnittene Augenlider, warum sollte er das getan haben? Er nähte immer,
drei Stiche für jedes Lied. Die konnten nicht geschnitten sein, auf keinen Fall
waren sie geschnitten, Doc Lauritson irrte sich. Allerdings waren sich alle
uneinig, ob das tatsächlich ein Juni-Opfer war. sie wollte nicht in das ihnen
bekannte Schema passen. Alle wollten glauben, dass die hängende Frau das Opfer
des Juni-Mörders war, jedoch wenn sie ehrlich zu sich waren, wussten sie, dass
ein weiteres Opfer in laufe des Morgens auftauchen würde. Der Juni-Mörder würde
niemals so etwas zurücklassen. Mit der Gewissheit bald nochmal vor eine Leiche
zu stehen, machten sich die Beamten an der Arbeit, die Frau in diese Kirche verdiente
genau so viel Aufmerksamkeit und Hingabe wie alle andere vor ihr.
»Jill«, ein junger Polizist näherte sich mit leichten Schritten, »wir sind
fertig«.
Jill versuchte der entstandene Schreck zu unterdrücken, die Schritte des
Kollegen waren in der Geräuschkulisse untergegangen. Für gewöhnlich hatte sie
ihre Schreckheftigkeit gut in Griff, in ihren Beruf konnte sie nicht ständig
zusammenfahren, wenn etwas passierte.
»Gut, hilft Doc diese arme Frau runter zu nehmen und in sein dunkles
Refugium zu schaffen«.
Der junge Polizist schaute hoch und in gleichen Moment kam sein Frühstück
in großen Bogen raus.
»Garret, das geht nicht, wenn du dich übergeben musst, geh raus. Dass hier
ist ein Tatort«.
Jill und Richard Lauritson waren etwas ratlos, sie grübelten weiter darüber
nach, warum der Täter von seiner üblichen Methode abgewichen war. Dieses Opfer
war nicht so kunstvoll gestaltet wie alle anderen, es musste lauten, dieses
Opfer war das genaue Gegenteil von dem, was der Juni-Mörder indem letzten
Jahren präsentiert hatte. Es musste ein Grund dafür geben, aber welchen. Das
einzige, was indem Sinn kam, wollten sie nicht in Betracht ziehen. Aber sollte
es tatsächlich ein Juni-Opfer sein, war es unmöglich zu verstehen weshalb diese
Frau so anders aussah. Die Ohren abzuschneiden gehörte nicht zu den ihnen
bereits bekannten Vorgängen und sie so zu verunstalten mit der Schminke erst
recht nicht. Jetzt war guter Rat teuer, die Untersuchungen würden zeigen ob sie
von dem Juni-Mörder abstammt oder nicht. Wenn es sich um einen Trittbrettfahrer
handelte, würde in den nächsten Stunden eine weitere Leiche auftauchen. Jeder
für sich betete, dass diese nicht passiere.
Jonas Schreiber stand in eine Ecke der Kirche und beobachtete die Polizei bei
der Arbeit. Er hätte nicht hier sein dürfen. Zumindest nicht innerhalb der
Kirche. Aber sein Nachbar Noah Falkenberg war der Polizeifotograf. Noah hatte
ihm als sein Assistent rein geschmuggelt. Jetzt stand Jonas mit Noahs zweite
Kamera an der Wand gelehnt und wartete auf etwas, was neu in dieser jährlichen Reprise
sein konnte. Seit neunzehn hundert fünfundneunzig gab es jedes
Jahr ein Mord und außer die Tatsache, dass die Leiche tot war, gab es keine
Hinweise, die zum Täter hätten führen können. Jonas diskutierte oft mit seiner
Frau Nelle darüber. Er gab immer wieder zu bedenken, dass die Steuern ständig
in der Höhe schossen, die Polizei aber nichts für ihren Gehalt tat. Jedes Mal
übermannte ihm kurz danach das schlechte Gewissen. Er wusste
...
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