Das Netz
Auf
dem kleinen Display stand in weißen Buchstaben auf schwarzen Hintergrund:
„KEIN NETZ
NO RECEPTION“
Roland
schaute hinter sich, er konnte nichts sehen, konnte aber sehr gut die sich
nähernde Bedrohung spüren. Er schaute sich um. Es gab nichts, wo er sich hätte
verstecken können. Er stand mitten in der Natur. Eine wie es schien sehr
gefährliche Natur. Wie konnte er nur in diese Situation geraten?
Es
ist sonderbar, wie sehr wir von der Technik abhängig sind. Ohne Laptop, Handy,
iPad und Reader funktionieren wir überhaupt nicht mehr. Dabei ist es noch nicht
so lange her, dass diese Geräte noch nicht existierten. Wir haben uns
erstaunlich schnell angepasst und unsere Kinder kennen keine richtigen Bücher
mehr, Heft und Bleistift, mit denen ich hier schreibe, werden bald nur noch ein
Mythos sein. Und ja, ich werde es auch sauber in Computer tippen, aber anders
als andere, die mit Autorenschreibprogrammen arbeiten, schreibe ich erst per
Hand. Altmodisch werde ich genannt, ich sage: „KONSERVATIV“, das ist etwas
anderes.
Was
die Informationen betrifft, Google und Wikipedia bestimmen unser Leben und Diktieren
uns vor, woran wir zu glauben haben. Habe ich früher unendlich viele Bücher gewälzt,
um etwas zu recherchieren, brauche ich heute nur ein Wort in den Sucher zu
geben und schon habe ich mehr Information, als ich je hätte erfahren wollen.
Ohne Handy ist es noch schlimmer, haben wir
kein Handy dabei, sind wir nicht nur keine Menschen, wir sind hoffnungslos
verloren. Handys sind heute alle internetfähig und Google Maps weiß ständig,
wie ich von A nach B finde. Die sagen mir sogar, wie viele Schritten ich geben
muss vom Parkplatz bis zur Haustür. Ich frage mich ernsthaft, wie Kolumbus
Amerika entdecken konnte, ohne Navi und Handy. OK, ich gebe zu Handy wäre
unvorteilhaft gewesen, Isabella hätte sicher zehn Mal am Tag angerufen, um zu
erfahren, wo er sich befand, sie hätte ihm die Hölle heißgemacht, weil es so
langsam voranging.
Navi
– ich denke, er hätte es gut gebrauchen können. Er wollte nach Indien und wo
landete er? Im Garten meines Onkels. Da muss ich sagen, kein Navi ist auch ein
Vorteil. Anders wären wir nie entdeckt worden. Ach, das wissen Sie ja gar nicht?
Entschuldigung, ich hole etwas aus … Ich komme aus einem kleinen Land namens ‚Costa
Rica‘. In seiner vierten Reise landete Columbus an unserer atlantischen Küste.
Dort lebte mein Onkel bis zu dem Tage, an dem er seine letzte Reise antrat.
Natürlich im 20. Jahrhundert und nicht in 15. Jahrhundert, aber der gleiche
Strand. Seine Familie lebt noch dort. Ich komme aus der etwas frischeren
Hauptstadt. Der ‚Valle Central‘ liegt in 1170 Meter über den
Meeresspiegel.
Aber ich schweife vom Thema ab, wie
funktioniert das mit dem Netz? Immer wenn ich irgendwo anrufen will, stehe ich
gerade in einem mit Blei verkleidetem Keller, oder so. Bei mir zuhause kann ich
nur im Badezimmer - zwischen Toilette und Fenster gepresst - ein Netz bekommen,
natürlich nur in Sommer, wenn das Fenster daueroffen steht. Zum Glück gehöre
ich zu den extrem altmodischen, bei mir ist ein Festnetztelefon auf meinem
Schreibtisch.
Roland
steht jetzt mitten im Nirgendwo und hat ein ähnliches Problem, er hat kein
Netz. Vielleicht ist es besser, wenn wir etwas vorher anfangen. Wie geriet
Roland nur in diese blöde Situation?
Die Zeitung für den Roland Lurich immer
wieder als freier Journalist arbeitete, hatte ein etwas wenig glaubwürdigen
Hinweis bekommen. Mitten in Dschungel, auf einer knapp besiedelten Insel, trieb
sich ein Geist herum. Roland wollte Licht ins Dunkle bringen. Seine
Taschenlampe befand sich bereits in Koffer.
»Ein
Geist«, lachte er, seine Hose wurde zusammengerollt und verschwand in eine Ecke
des Koffers. Seine Verlobte saß auf der Fensterbank, ihre Arme umfassten ihre
Knie, darauf ruhte ihr Kopf.
»Schnuffel,
musst du wirklich da hin?« Lorena hatte einen gekränkten Gesichtsausdruck. Sie
seufzte theatralisch.
»Ja
Plupsi, muss ich«, gab er leicht genervt zur Antwort. Da es ihm aber sofort
leid tat, durchquerte Roland den Raum mit nur ein paar Schritten, er umarmte
seine in sich verknotete Verlobte und gab ihr ein Kuss auf den Haarscheitel.
»Spätestens in eine Woche bin ich wieder da«, versprach er. »Ich vermute, das
Ganze ist nicht einmal eine Meldung wert. Ich muss hin, verstehe es doch, wir
brauchen das Geld«. Roland verstärkte die Umarmung.
»Ein
Geist«, spie sie verächtlich. »Bezahlen sie dich, wenn du nichts berichten
kannst? Diese Leute sollten sich ein Exorzist für ihr Haus suchen!«. Lorena
wollte nicht klein beigeben.
Roland
korrigierte Lorena nicht, er ließ sie in dem Glauben, er würde eine Woche bei
irgendwelchen Leuten verbringen. Es war besser ihr nicht zu sagen, dass er eine
Woche in den Tropen verbringen würde, exotische Getränke schlurfend.
»Piiiipppp
– Piiiipppp – Piiiipppp«
Roland
griff genervt in seine Hosentasche, ein kurzer Blick auf das schwarze Display
seines Handys bestätigte seine Vermutung.
»Piiiipppp
– Piiiipppp«
»Der
Akku ist wieder leer, das Ding übersteht keine Woche ohne Steckdose«
»Warum
ohne Steckdose, haben die Eigentümer des Hauses keinen Strom?«
Jetzt
hatte er sich verplappert, »Die versuchen sich in der Lebensphilosophie der Amish
Leute«, schwindelte er.
Der
Flughafen: Juan Santa Maria‘ war anders als von Roland vermutet, sehr modern,
nicht zu verachten, für so ein kleines Land. Er holte seine Koffer und ging zu
einer kleinen Maschine, die noch etwas abseits der Rollband stand.
»Are
you Roland Lurich?« Der kleine untersetzte Mann schaute Roland mürrisch an: »
We have been waiting half an hour for you!«
»My
plane jetzt landed« Roland war sich nicht sicher, ob er den Satz wirklich
richtig formuliert hatte, das Wort „jetzt“ klang so deutsch. Es
war das erste
Mal nach acht Jahren, dass er englisch über die Lippen brachte. Er schaute auf
seine Uhr: »I’m on Time«
»We
do not habe Time now«, der mürrische Mann schüttelte der Kopf. Roland hörte,
wie er im Weggehen das Wort „Gringos“ verächtlich von sich gab, den Rest
verstand er nicht.
„Vielleicht
sollte ich doch noch Spanisch lernen?“, ging ihm durch den Kopf.
Der
Klang des Motors weckte nicht unbedingt Rolands Vertrauen. Mit einem solchen
Husten, wie diesen Motor es hatte, pflegte er lieber ins Bett zu bleiben. Mit
dem Flieger sollte er zu einer kleinen Insel gebracht werden, dessen Name er
längst vergessen hatte. Die Frage war nur, würde er auch ankommen?
Im Flieger befanden sich außer Roland, fünf
weiteren Passagieren. Roland war alles andere als begeistert über ihr Aussehen.
Sie erweckten den Eindruck von Flüchtlingen, die eine Menge zu verbergen haben
und dahin gehen, wo Behörden keine Rolle spielen. Was wäre naheliegender als
eine Insel, wo es kaum Bevölkerung gibt, und ansonsten nur Dschungel?
Der Flug dauerte fünfundvierzig Minuten,
holprige fünfundvierzig Minuten wäre wohl die bessere Beschreibung. Der
Flughafen auf der Insel war eher naturverbunden, es bestand aus zwei Wänden mit
einem Dach, Abfertigung gab es nicht. Über den Zustand der Landebahn wollen wir
lieber den Mantel des Schweigens ausbreiten.
Unzähligen Schweißtropfen drängten sich fast
augenblicklich aus Rolands Stirn. Er holte ein Papiertaschentuch raus und
schaute sich genervt um. Sein Hawaiihemd klebte an den Konturen seines halbwegs
akzeptablen Körpers, so hatte es Lorena mal beschrieben, vor allem der leichte
Bauch kam besonders gut zur Geltung. Seine beginnende Glatze…
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