Das zweite Atlantis
Die Grote Mandränke
Sonntag, 10. Januar 1362
Unruhig warf sich Algea
von einer Seite zur anderen, das feuchte Haar klebte ihr an der Stirn. Ihr
stark gewölbter Leib verhinderte, dass sie sich in ihrem wilden Schlaf soweit
drehen konnte, dass sie von ihrem Lager hätte fallen können.
»Algea, wach auf! « Fiete
rüttelte seine Frau, bis sie die Augen öffnete. Das war kein gutes Omen, wenn
die bösen Geister ihren Schlaf störten. Fiete bekreuzigte sich. Seine Familie
hatte zwar dem alten Glauben lange vor seiner Geburt abgeschworen,
nichtsdestotrotz hielt sich der Aberglaube fest in den Köpfen der Bekehrten.
»Fiete?« Algea schien
nicht zu wissen, wo sie sich gerade befand.
»Bleib ruhig, es war nur
ein Versuch der alten Götter, sich unseres Kindes zu bemächtigen. Das Werden
sie aber nicht schaffen«.
»Fiete, das Wasser, ich
sah das Wasser und ich sah dich, du bist nicht von Rungholt zurückgekehrt«.
»Die Schatten der Nacht
sollten nicht deinen Tag verdunkeln, ich werde zur Geburt unseres Kindes da
sein«. Fiete sprang aus dem zusammengezimmerten Bett mit dem Schafsfell. »Ich
bleibe nur eine Woche, ich bin am nächsten Sonntag wieder hier«.
Mühsam erhob sich Algea
von ihrem Lager, auf dem Weg zum Ofen drehte sie sich um. »Am Sonntag, ja?«
Fiete lächelte
beruhigend. »Am Sonntag, versprochen, achte du darauf, dass mein Sohn nicht
vorher geboren wird«.
„Sohn! Wenn es nur ein
Sohn werden würde, was wäre, wenn sie am Ende ein Mädchen bekommen sollte?“ Darüber wollte Algea nicht nachdenken, sie betete bei
jeder sich bietende Gelegenheit es möge ein Sohn werden. Es war ihr erstes Kind
und die gesamte Familie wartete auf den Stammhalter.
Schnell, so schnell wie
es ihr Zustand erlaubte, lief sie zum Brunnen, um Wasser zum Waschen und Kochen
zu holen. Als sie in ihren vollen Eimer schaute, sah sie eine Spiegelung ihres
Traums. Algea sah, wie Fiete versuchte auf das Dach eines Hauses zu klettern,
die Welle kam immer näher. Als Fiete endlich oben stand spülte die Welle das
Haus fort. Nichts war mehr da, keine Häuser, keine Menschen, kein Land, kein
Fiete. Nur Wasser, soweit das Auge reichte.
Gehetzt kam sie in das
Häuschen zurück, wo sie und Fiete lebten, sie atmete laut, was nicht nur mit
dem schweren Eimer zu tun hatte. Vor einer Weile hatte Fiete angefangen, eine
weitere Stube zu bauen für das Kind, aber die Arbeit in der Siederei auf
Rungholt ließ ihm kaum noch Zeit dafür, so war auf der einen Seite des Hauses
eine halb gezogenen Mauer, die von gesammelten Steinen umgeben war. Fiete
stammte aus Husembro, hier lebten seine Eltern. Eines Tages würde das Haus und
das bisschen Land seins sein, aber jetzt waren schlechte Zeiten. Dem kleinen
Hof ging es nicht gerade rosig, im reichen Rungholt dagegen brauchte die
Siederei immer wieder Männer die das Salz von der verbrannten Asche trennten.
Bald würde sein Kind geboren werden, er brauchte die zusätzlichen Kronen und
das Salz, die er als Entlohnung erhielt. Das Salz tauschte er gegen andere
Güter bei seinen Nachbarn ein. Wolle, Honig, Fische.
»Bitte Fiete, bleibe
hier, ich bin unruhig wegen meines Traums. Es wird etwas Schlimmes geschehen«.
»Nichts wird passieren,
ich verspreche dir, am Sonntag wieder hier zu sein«.
Schweren Herzens musste
Algea sich damit zufriedengeben. Nach dem Morgenmahl machte sich Fiete auf den
Weg. Er musste eine lange Strecke laufen bis zu seinem kleinen Paddelboot, dann
bis nach Rungholt rudern. Nachdem Fiete fort war, blieb Algea eine Weile an der
Tür stehen, sie hoffte, dass ihr Mann es sich anders überlegte, dass er
umkehrte, aber sie wartete vergebens. Erst als ihre Schwiegermutter vorbei
schaute ging die inzwischen dramatisch unterkühlte Algea wieder ins Haus.
»Mädchen, was denkst du
dir dabei, willst du dir den Tod holen bevor mein Enkel auf der Welt ist? «
Brigitta schaute streng, während sie einige Scheite Holz ins Feuer legte.
Danach nahm sie eine Decke, in die sie Algea einwickelte.
»Nein Mutter Brigitta,
natürlich nicht, aber ich bin so besorgt, Fiete ist weg und ich habe so
schlimme Vorahnungen, dass etwas passieren wird«.
Brigitta bekreuzigte
sich. »Vorahnungen sollst du nicht haben, du stürzt uns noch alle ins Unglück
Kind«. Schon Algeas Mutter war dafür bekannt, Schlimmes vorher zu sehen. Als
Algea noch sehr klein war, wurde sie vom Pfarrer aus dem Ort verbannt. Daran
konnte sich Brigitta noch sehr gut erinnern. »Kümmere dich darum, dass dein
Kind gesund geboren wird, mehr hast du nicht zu tun«. In Brigittas Brust keimte
der Zweifel, ob wirklich alles gut gehen würde. Nachdenklich erhitzte sie etwas
Ziegenmilch für Algea.
Donnerstag, 14. Januar
1362
Im mittelalterlichen
England erwarteten die Bewohner der nebligen Insel sicher nur, dass der Winter
zu Ende gehen möge, als der größte Sturm, der England je getroffen hatte, sein
Unwesen trieb. Der Wind wurde zu einem Orkan, dabei wurden sehr viele Gebäude
zerstört. Auch an der Küste von Danesch gab es Verwüstung. Es gab zahlreiche
Menschenopfer, aber Danesch war nur eine Station auf dem Weg der Zerstörung.
Die größere Tragödie näherte sich ohne, dass ihre Opfer etwas davon ahnten.





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