Schneeengeln
»Autsch! Das tut doch weh« Gina rieb sich den
Arm, Jahn hatte genau die Stelle getroffen, die sie sich beim Squash verletzt
hatte.
»Stell dich nicht so an, schau« Jahn zeigte
zum Fenster. »Es schneit«.
Ginas Blick folgte der ausgestreckte Finger,
tatsächlich, zwar noch sehr fein, dennoch erkennbar. Die Straße und die Bäume
waren in Weiß eingehüllt, während die winzigen Flocken weiter fielen. Am
nächsten Tag würde ein weißer Teppich überall liegen, es würde richtige
Weihnachten geben. Bald wurde alles, genau so aussehen, wie das kleine
Knusperhäuschen die sie an vergangenen Abend, gebastelt hatte.
Gina hatte ein Teil des Nachmittags und der
Abend damit verbracht, das Knusperhäuschen ihre Träume zu basteln. Sogar der
Lebkuchen hatte sie selbst gebacken. In so ein Häuschen würde sie gern wohnen.
Dass da eine Hexe wohnen sollte, die Hänsel und Gretel verspeisen wollte, das
hatte sie beiseite geräumt; in ihren Häuschen würde so etwas nie geschehen. Mit
Hingabe hatte sie jedes Detail akribisch ausgeführt. Die Mischung aus Eiweiß,
Zitrone und Puderzucker, wurde peinlichst genau zusammen gerührt, die Farben
der Süßigkeiten, waren nach Farben sortiert und so angebracht, dass diese ein
Regenbogen ergaben. Vor dem Haus stand ein Baum, eine Katze und es gab ein
Zaum, darauf war sie besonders stolz.
Sie war überzeugt, dass zum Heiligabend die
weiße Pracht alles überdecken würde, dennoch fragte sie »Glaubst du, dass wir,
so richtig weiße Weihnachten bekommen?«, Gina ging dichter an das Fenster, »Wir
könnten Schlitten fahren, Schneemänner Bauen, Schnee-Engeln ……«
Alle weiteren Ideen musste Gina für sich
behalten.
»Geht’s noch? Wir müssen uns um das Geschäft
kümmern, wir haben keine Zeit für solche Banalitäten«. Jan gestikulierte
aufgeregt. »Schnee schadet das Geschäft, die Kunden bleiben fort, kaufen bei
sich um die Ecke und wir bleiben auf die Wahre sitzen«. Sein Gesicht war rot
angelaufen, er hielt sich die Hände am Kopf, während er diese schüttelte.
Jahn war so – ganz anders als sie, wenn
irgendjemand, aus welchen Gründen auch immer, Jahn hätte beschreiben wollen,
hätte derjenige nicht lange überlegen müssen, eigentlich genügten zwei Worte.
„Ebenezer Scrooge“, vor dem Besuch der
drei Geister, damit war alles lückenlos beschrieben. …………. Na ja, eine Frage blieb
offen, würde Jahn, sich wie eins „Ebenezer“ irgendwann ändern?
Gina schien die Einzige zu sein, die sich
nicht an Jahns Art störte, sie atmete tief ein, hängte sich an seinem Arm und
lehnte ihren Kopf daran. »Das Geschäft wird schon laufen« Gina hätte sich ein
paar liebevolle Worte von ihm gewünscht, vielleicht eine kleine Umarmung oder
ein flüchtiger Kuss. Leider wusste sie nur zu genau, wie sinnlos es war darauf
zu warten. So etwas war Jahn vollkommen fremd.
Noch während sie ihre Enttäuschung zu
verbergen suchte, erinnerte sie sich an den See in der Nähe des Büros, wo Jahn
und sie arbeiteten. Sie ließ Jahns Arm los, sie rannte aus dem Raum. Gleich
hinter der Küche war eine kleine Kammer, da hatte sie doch ihre Schlittenschuhe
……. Hatte sie doch.
???
Die Gegenstände flogen eins nach dem anderen raus »Ich bin sicher, ich habe die
hier rein getan, die müssen irgendwo liegen. Ich habe die gleich, gleich habe i…« in ihren Hinterkopf
entstand die Frage, ob die woanders sein könnten, und wenn ja, wo ???
»Was suchst du?« Jahns Stimme klang so
merkwürdig, als wäre sein Mund voll.
»Was isst du?« Gina zog ihren Kopf raus,
gerade noch rechtzeitig genug umzusehen, wie Jahn die Tür von Knusperhäuschen
aß. Der Schornstein, der halbe Zaum und der Baum waren bereits verschwunden.
»NEIN!«
Brüllte sie »was hast du getan«
sie sah ihren Knusperhäuschen, oder besser gesagt die Ruine, die noch da war,
sie konnte es nicht glauben. Ihr Blick ging hoch, bis sie Augenkontakt mit Jahn
hatte. Dieser anklagende Blick war Jahn neu.
»Ich habe Hunger«, sagte er in beleidigten
Tonfall, innerlich hatte er längst erkannt, dass er diesmal, nicht so aus der Sache
raus kommen würde. Er hatte gründlich Mist gebaut und würde es nicht so leicht
wieder hinbiegen können.
»Hunger?« Gina baute sich vor ihm auf,
stemmte die Fäuste auf ihre Hüfte, öffnete der Mund. Sie wollte etwas sagen,
erkannte aber in gleichen Augenblick, wie sinnlos es war. Die Tränen sammelten
sich in ihre eisblauen Augen. Vor Wut natürlich, warum den sonnst, sie wusste
doch, wie er war, sie wusste es. Natürlich war sie nur wütend, niemals
verletzt, nein das war sie nicht. Sie hatte jeden Grund wütend zu sein, sie
hatte das Knusperhäuschen für ihren kleinen Neffe gebaut, jetzt würde sie eins
kaufen müssen, ein Häuschen wie jeder sie kaufte, ohne persönliche Note.
Noch bevor die ersten Tränen, sich todesmutig
über den Wimpernabhang in der Tiefe stürzten, stürzte sie aus der Küche. Ihr
Weg führte direkt zum Schlafzimmer, an Bett vorbei, da stand sie vor dem großen
Schrank. Wütend riss sie die Türen auf, zog eine Reisetasche raus und begann
wahllos Kleidung rein zu werfen.
»Es tut mir leid« hörte sie Jahns Stimme in
Flur, die Schritte wurden lauter, »Gina es tut mir wirklich leid« inzwischen
stand er vor dem Bett, er sah verständnislos Ginas tun, er verstand nicht der
Grund dafür.
»Nein Jahn, das reicht nicht, diesmal, bist
du zu weit gegangen.«
»Aber ich …«. Stotterte er »hatte wirklich Hunger«.
»Dann, hättest du eine Scheibe Brot essen
können, eine Banane oder ein Joghurt.« Gina warf weitere Kleidung in die
bereits überfüllte Tasche.
Lange nach Ginas Aufbruch, stand Jahn immer
noch in Schlafzimmer, er konnte sich nicht vorstellen, ohne Gina zu sein, nicht
diese Weihnachten und schon gar nicht der Rest seines Lebens. Wie hatte er nur
so dumm sein können? Ohne Gina hatte alles keinen Wert ...
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