Zeitkapsel in Beatitudo
Yalilles Erbe
Die Kälte kroch durch die Kleidung bis auf die Knochen.
Langsam begann es zu dämmern. Vier Schatten schlichen über den gefrorenen Boden.
Soldaten waren ihnen auf der Spur, nur flüsternd, und auch nur wenn es sich
nicht vermeiden ließ, sprachen die Gestalten miteinander. Der Weg, der vor
ihnen lag, war lang und beschwerlich, sie standen noch am Anfang des Weges. In
gebückter Haltung krochen sie im Schutz der Tannen die Mauer des Gebäudes
entlang. Um den Verfolgern zu entkommen, mussten die Flüchtlinge den Weg
verlassen. Hinter den kahlen Sträuchern suchten sie in jeder dunklen Ecke
Schutz.
Die Verfolger waren ihnen dicht auf den Fersen, die
Flüchtigen hielten teilweise die Atmung ein, als das Gespräch der Verfolger sich
von fernen Wispern, zu einen verständlichen Dialog wurde.
»Das ist doch nicht richtig, dass wir bei diesem
Wetter hier sind. Die vier werden ohnehin erfrieren, vielleicht sind sie es
schon. Ein Entkommen ist unmöglich«. Der Soldat rieb die Hände kräftig
aufeinander, der Versuch, sie mit dem kalten Atem zu wärmen, war vergebens.
»Wenn wir sie nicht finden, werden wir bald nicht mehr
frieren, denn unser Leben ist verwirkt«, sagte sein Begleiter, dabei versuchte
er das Fell, das er um die Schulter trug, fester zu ziehen.
Die Jäger Darmunio´s setzten ihre Suche fort, die
Aussicht auf ein baldiges Ableben durch die Hand ihres Herren war Ansporn genug,
um die Kälte zu vergessen.
»Ah! Oh nein! «, wisperte Yalille, als sie unsanft auf
dem Boden landete.
»Prinzessin, was ist passiert? « Die besorgte Agnes
schlich zurück zu ihrer Herrin.
»Ich bin ausgerutscht, ich glaube, ich kann nicht mehr
laufen«. Yalille versuchte den Schmerz zu ignorieren, etwas das ihr nur
zeitweise gelang.
Agnes winkte die zwei Diener, die sie begleiteten,
heran. Bereits erschöpft durch die Kälte und die Last die sie trugen, der Eine
hatte eine Truhe, die circa zwei Ellen mal eine Elle groß war, der Andere ein
großes Futteral das seine Kräfte bis aufs äußerte forderte, gingen die Männer
vorsichtig und fragenden Blickes zu den beiden Frauen.
Agnes, die um ihre Herrin sehr besorgt war, schlug
vor, die Truhe und das Futteral zurück zu lassen, aber Yalille wollte nichts
davon hören. Da erinnerte sich Agnes an den Raum, der zwar zum Palast gehörte,
aber nur von außen zugänglich war. Als Kinder hatten Prinzessin Yalille und sie
dort viele Abenteuer erdacht und sich dort versteckt, wenn der König seine
Tochter zurechtweisen wollte. Der Eingang war längst zugewuchert, aber jetzt,
wo alles Laub verschwunden war, würde sie es sicher schaffen hinein zu kommen.
Bald würde es Frühling werden und der Eingang hinter der Laubpracht
verschwinden. Agnes glaubte nicht, dass jemand jemals dorthin finden würde,
nicht einmal die Bewohner des Palastes, die ihr ganzes Leben dort verbrachten,
wussten von dem längst vergessenen Zimmer.
»Ich werde es sicher verstecken, Prinzessin, niemand
wird es je finden«.
Schweren Herzens stimmte Yalille zu, so führte Agnes,
nachdem sie ihrer Herrin den verstauchten Knöchel stramm verbunden hatte, die
zwei Diener zu dem mit dem bloßen Auge nicht erkennbaren Eingang des geheimen
Raumes, der so viele Erinnerungen aus ihrer Kindheit bewahrte. Die zwei Diener hießen
die Entscheidung willkommen um so die schwere Last los zu werden, die Truhe war
schwerer als ihre Größe vermuten ließ, doch nicht der Inhalt, Erinnerungen an
Yalilles Familie, war der Grund. Das Holz, aus dem diese gebaut war, stammte
von einem verzauberten Baum, unter dem das erste Königspaar des Reiches
begraben lag. Zu Lebzeiten soll der damalige Monarch mächtige Geister
beschworen haben, um das Holz nur für sich und seine Nachkommen zugänglich zu
machen. So kam es, dass alles, was aus dem Koragu-Baum angefertigt wurde, nur
durch die Mitglieder der königlichen Familie mühelos getragen werden konnte.
Yalille war aber, nachdem vor ihren Augen ihre Mutter enthauptet wurde, so
niedergeschlagen, dass der Diener die Truhe an sich nahm, um die Prinzessin
schnell in Sicherheit zu bringen. Der Palast war voller Geheimgänge, die von
jedem Raum erreichbar waren, vorausgesetzt, man wusste, wo diese zu finden und vor
allem, wie diese zu öffnen waren.
In dem Versteck, das nur durch die verborgenen Gänge erreicht
werden konnten, dachte Yalille an den Tag, als ihr Leben zum Albtraum wurde,
der Tag, an dem Darmunio alles vernichtete, was ihr etwas bedeutete. Es war ein
schwarzes Jahr, voran gegangen, Yalille kannte bis zu Beginn des Krieges nur
Glück, Liebe und Harmonie, sowohl in Palast als auch unter das Volk. Der Krieg
mit Darmunio hatte ihre ganze Familie vernichtet. In den vergangenen Tagen
hatte sie nach und nach Erinnerungen an ihre Eltern und Geschwister in die
Truhe gelegt: Das Taschentuch ihrer verstorbenen Mutter, die Fußsoldaten, die
sie jetzt verfolgen, hatten sie im Thronsaal vor ihren Augen ermordet. Eine
Feder aus dem Hut ihres Vaters, der sein Leben ehrenvoll auf dem Kampffeld
gelassen hatte. Eine Rose, die ihre kleine Schwester zwischen den Seiten eines
Buches gepresst hatte. Als die Eroberer in den Palast eindrangen, hatten sie
die kleine Prinzessin mit einem Säbelschlag getötet. Auch eine schwarze
Haarlocke ihres Bruders, der vom Kampf nicht zurückgekehrt war, befand sich mit
einer Satinschleife zusammengebunden zwischen den Andenken. Diese Dinge waren
das Einzige was aus einer glücklichen, unbeschwerten Kindheit blieb. Mit ihren
siebzehn Jahren musste Yalille erwachsen werden und sich der Realität stellen.
Sie hatte alles liebevoll und sorgfältig auf eine Miniatur aus glücklichen
Tagen gebettet. Der zweite Diener trug das Futteral, der Inhalt würde wichtig
sein, sollte die Prinzessin wiederkehren, um ihren Thron zurückzuerobern.
An ihrem verschmutzten, zerrissenen Kleid trug Yalille das
einzige, was ihr von ihrer Heimat blieb, die Brosche der Macht. Der große Rubin
wirkte glanzlos, als würde er um die Verstorbenen trauern. Er saß in der
kunstvoll verarbeiteten Weißgoldfassung, wie ein Fremdkörper. Das Zeichen, dass
sie als einzige ...







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