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Samstag, 30. November 2019

Zum Start des Adventszeits ein Märchen


Zeitkapsel in Beatitudo

Yalilles Erbe




Die Kälte kroch durch die Kleidung bis auf die Knochen. Langsam begann es zu dämmern. Vier Schatten schlichen über den gefrorenen Boden. Soldaten waren ihnen auf der Spur, nur flüsternd, und auch nur wenn es sich nicht vermeiden ließ, sprachen die Gestalten miteinander. Der Weg, der vor ihnen lag, war lang und beschwerlich, sie standen noch am Anfang des Weges. In gebückter Haltung krochen sie im Schutz der Tannen die Mauer des Gebäudes entlang. Um den Verfolgern zu entkommen, mussten die Flüchtlinge den Weg verlassen. Hinter den kahlen Sträuchern suchten sie in jeder dunklen Ecke Schutz.

Die Verfolger waren ihnen dicht auf den Fersen, die Flüchtigen hielten teilweise die Atmung ein, als das Gespräch der Verfolger sich von fernen Wispern, zu einen verständlichen Dialog wurde.

»Das ist doch nicht richtig, dass wir bei diesem Wetter hier sind. Die vier werden ohnehin erfrieren, vielleicht sind sie es schon. Ein Entkommen ist unmöglich«. Der Soldat rieb die Hände kräftig aufeinander, der Versuch, sie mit dem kalten Atem zu wärmen, war vergebens.
»Wenn wir sie nicht finden, werden wir bald nicht mehr frieren, denn unser Leben ist verwirkt«, sagte sein Begleiter, dabei versuchte er das Fell, das er um die Schulter trug, fester zu ziehen.

Die Jäger Darmunio´s setzten ihre Suche fort, die Aussicht auf ein baldiges Ableben durch die Hand ihres Herren war Ansporn genug, um die Kälte zu vergessen.

»Ah! Oh nein! «, wisperte Yalille, als sie unsanft auf dem Boden landete.
»Prinzessin, was ist passiert? « Die besorgte Agnes schlich zurück zu ihrer Herrin.
»Ich bin ausgerutscht, ich glaube, ich kann nicht mehr laufen«. Yalille versuchte den Schmerz zu ignorieren, etwas das ihr nur zeitweise gelang.

Agnes winkte die zwei Diener, die sie begleiteten, heran. Bereits erschöpft durch die Kälte und die Last die sie trugen, der Eine hatte eine Truhe, die circa zwei Ellen mal eine Elle groß war, der Andere ein großes Futteral das seine Kräfte bis aufs äußerte forderte, gingen die Männer vorsichtig und fragenden Blickes zu den beiden Frauen.

Agnes, die um ihre Herrin sehr besorgt war, schlug vor, die Truhe und das Futteral zurück zu lassen, aber Yalille wollte nichts davon hören. Da erinnerte sich Agnes an den Raum, der zwar zum Palast gehörte, aber nur von außen zugänglich war. Als Kinder hatten Prinzessin Yalille und sie dort viele Abenteuer erdacht und sich dort versteckt, wenn der König seine Tochter zurechtweisen wollte. Der Eingang war längst zugewuchert, aber jetzt, wo alles Laub verschwunden war, würde sie es sicher schaffen hinein zu kommen. Bald würde es Frühling werden und der Eingang hinter der Laubpracht verschwinden. Agnes glaubte nicht, dass jemand jemals dorthin finden würde, nicht einmal die Bewohner des Palastes, die ihr ganzes Leben dort verbrachten, wussten von dem längst vergessenen Zimmer.

»Ich werde es sicher verstecken, Prinzessin, niemand wird es je finden«.

Schweren Herzens stimmte Yalille zu, so führte Agnes, nachdem sie ihrer Herrin den verstauchten Knöchel stramm verbunden hatte, die zwei Diener zu dem mit dem bloßen Auge nicht erkennbaren Eingang des geheimen Raumes, der so viele Erinnerungen aus ihrer Kindheit bewahrte. Die zwei Diener hießen die Entscheidung willkommen um so die schwere Last los zu werden, die Truhe war schwerer als ihre Größe vermuten ließ, doch nicht der Inhalt, Erinnerungen an Yalilles Familie, war der Grund. Das Holz, aus dem diese gebaut war, stammte von einem verzauberten Baum, unter dem das erste Königspaar des Reiches begraben lag. Zu Lebzeiten soll der damalige Monarch mächtige Geister beschworen haben, um das Holz nur für sich und seine Nachkommen zugänglich zu machen. So kam es, dass alles, was aus dem Koragu-Baum angefertigt wurde, nur durch die Mitglieder der königlichen Familie mühelos getragen werden konnte. Yalille war aber, nachdem vor ihren Augen ihre Mutter enthauptet wurde, so niedergeschlagen, dass der Diener die Truhe an sich nahm, um die Prinzessin schnell in Sicherheit zu bringen. Der Palast war voller Geheimgänge, die von jedem Raum erreichbar waren, vorausgesetzt, man wusste, wo diese zu finden und vor allem, wie diese zu öffnen waren.

In dem Versteck, das nur durch die verborgenen Gänge erreicht werden konnten, dachte Yalille an den Tag, als ihr Leben zum Albtraum wurde, der Tag, an dem Darmunio alles vernichtete, was ihr etwas bedeutete. Es war ein schwarzes Jahr, voran gegangen, Yalille kannte bis zu Beginn des Krieges nur Glück, Liebe und Harmonie, sowohl in Palast als auch unter das Volk. Der Krieg mit Darmunio hatte ihre ganze Familie vernichtet. In den vergangenen Tagen hatte sie nach und nach Erinnerungen an ihre Eltern und Geschwister in die Truhe gelegt: Das Taschentuch ihrer verstorbenen Mutter, die Fußsoldaten, die sie jetzt verfolgen, hatten sie im Thronsaal vor ihren Augen ermordet. Eine Feder aus dem Hut ihres Vaters, der sein Leben ehrenvoll auf dem Kampffeld gelassen hatte. Eine Rose, die ihre kleine Schwester zwischen den Seiten eines Buches gepresst hatte. Als die Eroberer in den Palast eindrangen, hatten sie die kleine Prinzessin mit einem Säbelschlag getötet. Auch eine schwarze Haarlocke ihres Bruders, der vom Kampf nicht zurückgekehrt war, befand sich mit einer Satinschleife zusammengebunden zwischen den Andenken. Diese Dinge waren das Einzige was aus einer glücklichen, unbeschwerten Kindheit blieb. Mit ihren siebzehn Jahren musste Yalille erwachsen werden und sich der Realität stellen. Sie hatte alles liebevoll und sorgfältig auf eine Miniatur aus glücklichen Tagen gebettet. Der zweite Diener trug das Futteral, der Inhalt würde wichtig sein, sollte die Prinzessin wiederkehren, um ihren Thron zurückzuerobern.

An ihrem verschmutzten, zerrissenen Kleid trug Yalille das einzige, was ihr von ihrer Heimat blieb, die Brosche der Macht. Der große Rubin wirkte glanzlos, als würde er um die Verstorbenen trauern. Er saß in der kunstvoll verarbeiteten Weißgoldfassung, wie ein Fremdkörper. Das Zeichen, dass sie als einzige ...







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